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Amazon gefährdet die guten Arbeitsplätze im Handel in Trossingen

09.02.2021
Als die für Arbeitnehmer*innen im Einzel und Großhandel zuständige Gewerkschaft bezieht auch ver.di eine klare Position zum umstrittenen Beschluss des Gemeinderats, Amazon als Arbeitgeber in Trossingen ansiedeln zu wollen.


Als die für Arbeitnehmer*innen im Einzel und Großhandel zuständige Gewerkschaft bezieht auch ver.di eine klare Position zum umstrittenen Beschluss des Gemeinderats, Amazon als Arbeitgeber in Trossingen ansiedeln zu wollen.


Seit vielen Jahren streitet ver.di mit Versandhandelsunternehmen wie Amazon oder Zalando über die Arbeitsbedingungen an den jeweiligen Versandstandorten. Nach dem Geltungsbereich für Tarifverträge müssten nach der Rechtsauffassung der Gewerkschaft die Bedingungen des Einzel - und Versandhandels gelten! Beide Handelsriesen bezeichnen sich jedoch als Logistiker und bezahlen damit ihre Beschäftigten wesentlich schlechter als u.a. die Konkurrenz im örtlichen Handel vor Ort in Trossingen und der näheren Umgebung.

Bis in das Jahr 2000 galten die Tarifverträge des Handels als allgemeinverbindlich und damit zwingend für alle Unternehmen der Branche. Hierzu zählten in der Zeit vor dem Internet unter anderem die damaligen Katalogversandhändler wie Neckermann oder Quelle. Somit bestand ein fairer Wettbewerb, dass er nicht auf dem Rücken des Verkaufspersonals ausgetragen werden konnte. ,,Wir erleben in den letzten zwei Jahrzehnten eine Erosion bei der Tarifbindung" so der im ver.di Bezirk Südbaden Schwarzwald zuständige Fachbereichssekretär Markus Klemt. Der Einzelhandelsverband weigert sich, gemeinsam mit dem Tarifpartner ver.di die Allgemeinverbindlichkeit beim Arbeitsministerium zu beantragen; dies wäre jedoch die Voraussetzung für eine entsprechende Regelung nachdem Tarifvertragsgesetz.

Der DGB und seine Einzelgewerkschaften möchten diese Forderung auch mit Blick auf das aktuelle Wahljahr als eines der wichtigen Themen bei der Arbeitsmarktpolitik behandelt wissen.

In Trossingen und Umgebung sind die namhaften Anbieter der Lebensmittelkonzerne wie Edeka, Netto, Rewe / Penny , Aldi, Lidl und Kaufland allesamt an den Tarifvertrag des Baden Württembergischen Einzelhandels gebunden. Andere orientieren sich wenigstens an diesen Werten, um entsprechend motiviertes und qualifiziertes Personal anwerben zu können. Alle diese auch für die Kommunen bezüglich des Steueraufkommens wertvollen Arbeitsplätze geraten durch die zunehmende Konkurrenz von Amazon unter massiven Druck.

Im Rahmen der aktuellen Expansionspolitik bauen Amazon und Zalando derzeit bewusst kleinere Lager in ländlichen Regionen, um noch näher am Kunden zu sein und damit noch schneller liefern können. Die meist nachgefragte Ware wird vor Ort gelagert, im Netz bestellt, mit modernster Lagertechnik in kurzer Zeit bereitgestellt und könnte in Trossingen innerhalb einer Fahrzeit von 5 - 10 Minuten Tag und Nacht angeliefert werden. Diesen Wettbewerbsvorsprung können die regional ansässigen Verkaufsläden niemals ausgleichen!

Mit Ausnahme der Lagerleitung und einiger Teamleiter*innen ist für die meisten Arbeitsplätze wenig Qualifikation erforderlich. Es bedarf keiner Ausbildung oder wird kaum angeboten. Die Arbeitsplätze sind überwiegend zunächst befristet, Leiharbeit und niedrige Entlohnung prägen das Einkommensniveau; Tarifflucht, Dumpinglöhne und Überwachung der Beschäftigten sind bei ver.di Beispiele für die Auseinandersetzungen an mehreren Amazon Standorten.

Betriebsräte können nur sehr erschwert gegründet werden, weil sich erfahrungsgemäß die Belegschaften aus unterschiedlichsten Herkunftsländern zusammensetzen, in welchen das deutsche Betriebsverfassungsgesetz und die damit verbundenen Rechte auf Mitbestimmung nur mit erheblichem Aufwand vermittelt werden kann. In anderen von ver.di betreuten Lagerstandorten der Internethändler arbeiten beispielsweise Menschen aus über 70 Nationen. Für diese Beschäftigten muss entsprechend der niedrigen Einkommen ein angemessenes Angebot an bezahlbarem Wohnraum angeboten werden. Auch für die Kinder aus unterschiedlichen Kulturkreisen gilt es wohl, ausreichende Betreuungsplätze in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen.

Die Gewerkschaft verweist hierbei auf ein Ansiedlungsbeispiel von Amazon in Bad Oldesloe in Schleswig- Holstein, wo zahlreichen Beschäftigten Grundsicherung bezahlt werden muss und die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbauaufgestockt werden mussten. "Das anfallende Steueraufkommen ist auf dem Niveau eines kleinen mittelständigen Handwerksbetriebes" wird Bad Oldesloes Bürgermeister Jörg Lembke zitiert. ,,Amazon liegt uns auf der Tasche, der Zuzug des Onlinehändlers ist unterm Strich kein Grund zur Freude."

Den öffentlich benannten Bedenken der Bürgerinitiative sowie verschiedener Bürger*innen bei den Themen Verkehr, Umweltschutz, Verpackungsmüllaufkommen schließt sich ver.di uneingeschränkt an. Im Übrigen werden neben Verpackungen auch zurückgesendete Waren unterhalb der Rücklagerungskosten vernichtet, berichtet Klemt.

Dass eine für die Stadt Trossingen derart zukunftsweisende Entscheidung in nicht öffentlicher Sitzung behandelt wurde, stößt bei der Gewerkschaft auf großes Unverständnis! Was muss in einem demokratisch gewählten Gremium hier gegenüber der Bürgerschaft verborgen bleiben?" fragt der ver.di Sekretär kritisch. "Es werden schließlich Gemeinderäte als lnteressensvertreter*innen gewählt und nicht als Geheimräte" merkt er an und ermuntert die Kritiker und Gegner der Ansiedlung von Amazon in Trossingen, ihren Widerstand aufrecht zu erhalten.